Aus: Patrick Grüneberg (Hg.) Das modellierte Individuum Biologische Modelle und ihre ethischen Implikationen Juli 2012, 262 Seiten, kart., 29,80, ISBN 978-3-8376-2015-3 Debatten um Doping sind wesentlich auch von Fragen der biologischen Modellbildung geprägt. Im Bereich des Sports aber auch darüber hinaus wirft die allgegenwärtige und zumeist quantifizierende Modellierung des Lebens ethische Fragen nach dem Stellenwert des Individuums und dessen Verantwortung auf. Die hieraus resultierenden ethischen Probleme werden nicht erst bei der Anwendung neuer Präparate oder Technologien akut. In diesem Band zeigen Beiträge aus den Geistes-, Lebens- und Ingenieurwissenschaften, inwiefern ethische Fragen bereits in der fachwissenschaftlichen Forschung systematisch angelegt sind und zunächst auch von dort her thematisiert werden müssen. Mit Beiträgen u.a. von Christoph Asmuth, Alessandro Bertinetto und Bernd Mahr. Patrick Grüneberg (MA) forscht über methodologische Grundlagen wissenschaftlicher Modellbildung an der Technischen Universität Berlin und an der Universität Tsukuba (Japan). Weitere Informationen und Bestellung unter: www.transcript-verlag.de/ts2015/ts2015.php 2012 transcript Verlag, Bielefeld
Inhalt Einleitung.7 Sport,DopingundModelbegrif ChristophAsmuth Homofaberoderhomolaborans. Menschenbilderim Konflikt.15 AlesandroBertineto DopingundDopingdiskurse. EthischeundästhetischeAspektedesNormalitätsbegrifes im DopingdiskursundderenmedialeDarstelung.35 NeleSchneidereit IndividualitätalsGrenzederLeistungsteigerungdurchDoping.51 BerndMahr TragenModeleVerantwortung? ZurAutoritätundBefragbarkeitvonModelen.69 MoralundBiologie,EthikundVerbesserung ChristophBinkelmann WelcheVergenzverträgtdieMoral? DerevolutionsbiologischeUmgangmitethischenProblemen.91 AndreasWoyke Die»VerbesserungdesMenschen«im Blickaufdas schwierigeverhältniszwischenethikundanthropologie.107 CristianaSenigaglia Bioethikim LeistungssportundihrVerhältniszurÖkologie.125
6 Inhalt MedizinischeundpharmakologischeModele FrancescaMichelini ModeledesOrganischen. HelmuthPlessnerversusHansJonas.147 BenedetaBisol GesundheitsmodeleinderEnhancement-Debate. EnhancementalsHerausforderungfürdie medizinphilosophischedefinitiondergesundheitsnotion.171 ChristophAsmuth DasparadoxeIndividuum. ReflexionenüberdieProbleme desmethodischenindividualismus.193 MarianneI.Martić-Kehl VonderRelevanzhochstandardisierterStudien fürdenmenschen.205 ElvanKutBacs Mensch-Wirkstof-Beziehungen. DieWiedereinführungdesIndividuelen indiearzneimiteltherapie.213 PatrickGrüneberg ReduktionismusundRückübertragung.227 Berichte EvaSchneider Workshop Sciences. ZukünftigeEntwicklungeninderDoping-undEnhancement- ProblematikausnaturwisenschaftlicherSicht.247 EvaSchneider Workshop Wirsindaleanders. VonderUnvereinbarkeitdesIndividuumsmitdem Standardmenschen.251 AutorinnenundAutoren. 255
Einleitung PatrickGrüneberg BiologischeModelbildungstelteinenwesentlichenFaktorinDopingdebatendar.SowohlindenunmitelbaraufdiesportlicheTätigkeit bezogenenfeldernwiedentrainingswissenschaftenoderdersportmedizin,aberauchindenjenigenwissenschaften,diedensportin vielfältigerhinsichtunterstützen,wennnichtgarteilsermöglichen, tritdermenschalseinbiologischessystem auf.derheutigenvorgehensweisedernatur-undlebenswissenschaftenentsprechendwird dasbiologischeindividuum alseinefunktionaleeinheit,alseinmakrophänomenbetrachtet,dashinsichtlichseinerbiologischenkonstituentenerklärtundaufderenbasisletzthin»verbesert«werdensol.der erklärungslogischemainstream folgtdabeisicherlicheinerkausalistischenmethode,dochzeigenverschiedenebeiträgediesesbandes,das einesolchesichtdermenschlichendingenichtnotwendigeinzunehmenist.einereinkausalistischebetrachtungstößtvoralem dannan ihregrenzen,sobalddieethischedimensionmenschlicherexistenz berührtwird,daeinkausalermechanismusjeglicheethischethematisierungperdefinitionem ausschließt:einmechanismushandeltnicht, demnachstelensichinseinem AblaufkeineFragennachSelbstzwecksetzungodergarVerantwortungunddamitverbundenerRechtfertigungderverichtetenTaten. AuchwenneinekausaleSichtaufdenMenscheneinerseitsdurch einewisenschaftlicheunddamit,zumindestnachdem heutigenstand derdinge,mathematischemodelierungimpliziertwird,brichtschon bereitsinderbiologiederstaremechanismusauf,dasichbiologische Grundbegrife,wiebeispielsweisederdesLebensoderdesOrganismus,miteinem quantitativenblicknichtmehrangemesenerfasen
8 PatrickGrüneberg lasen.alerdingsistesfüreineweiterführendediskusion,d.h.einer solchen,dienatur-undlebenswissenschaftlichemodelierungnicht nurexternunduntervoraussetzungeinerweiterenalsnureinerkausalistischenperspektivebegreifenwil,sehrhilfreich,sichaufdienatur-undlebenswissenschaftenselbstzukonzentrieren.einweitverbreitetesmisverständnisbestehtnämlichdarin,dassmansichindiesensogenanntenerklärendenwissenschaftennichtmitvermeintlich subjektivundkulturelbedingtenfragennachverantwortungund Rechtfertigung,geschichtlicherKontingenz,individuelen(biographischen)Umständen,Gründen(i.U.zuUrsachen)odersonstigenUnwägbarkeitenkulturelerExistenzbeschäftigenmüste.DemgegenübererweisensichethischeodernormativeKategorienundKriterien einermethodenkritischenundimmanentenbetrachtungnatur-und lebenswisenschaftlicherpraxisalskonstitutivemomenteauchder biologischenmodelierungdesmenschen.dergenanntegegensatz, zugespitztim VerhältnisvonUrsachenundGründen,soltedaher nichtsoernstgenommenwerden,dassbeidegrundbegrifevermeintlichdisparatewissensbereicheetablieren. DieeigentlicheHerausforderungbestehtschließlichdarin,dieErrungenschaftendermethodischenEtablierungverschiedenerReiche derursachenundgründezuerhalten.wennschonim FeldderNaturundLebenswisenschaftenkeinemethodischeHomogenitätherscht, wassichandenkomplexenverflechtungenvonbiologie,physik,chemiezeigt(um nurklassischedisziplinenzunennen),derenmethodik wiederum mathematischbasiertistunddamitnichtmehraufeiner Natur-,sondernaufeinerRelationswissenschaftberuht,wirddieSuchenachUrsachenvolendsdurchdenentscheidendenBeitragingenieurwisenschaftlicherDisziplinenentgrenzt.LetzteresteleninsbesondereinGestaltderInformatikdiederzeitmaßgeblichenWerkzeuge jedwedermodelierungbereit.zugleichentwickelnaufgründeausgerichtetegeisteswissenschaftenauchwiederum Theorienbzw.Modele, dieeserlauben,einenkulturelenodergeselschaftlichengesamtkontextbegriflichzuerfassen.inhöchstem Maßeabstraktgewonnene ResultateindenNatur-undLebenswissenschaften,undwirsoltendie Ingenieurwisenschaften ergänzen,rekurieren implizitaufmenschen-undgeselschaftsbilder.derenmodelerekurierenhäufigauf psychologischetheoreme,um beispielsweisemenschlichesverhalten zumodelieren.
Einleitung 9 ReichederUrsachenundGründestehensomitinvielerleiwechselseitigenVerhältnissen.Esistalsonichtso,dasdieGeisteswisenschaftennureinenKommentarzudeneigentlichenhartenundobjektivenBeschreibungenderWeltansichabgebenoderim Einzelfaleine ethischezertifizierungvornehmen.nochverhältessichso,dasin dengeisteswisenschaftendiebegriflichengrundlagenvorformuliert werden,alsomenschen-undweltbilder,diedannmitrealweltlichen Ursachenunterfütertwürden.StatsolchwissenschaftlicherAnsprücheaufDeutungshoheitensoltendievielfältigenVerflechtungenverschiedenerMethodenundForschungsintereseninihrerHeterogenitätangenommenund,ineinem ganzsportlichensinne,kompetitiv ausgespieltwerden.daszieldesspielsbestehtalerdingsnichtdarin, einlagerzum Siegzuführen,sonderneinProblem,dassichineiner WisenschaftoderinderLebensweltstelt,konstruktivundverantwortungsvolzubearbeiten,womitauchdiepolitischeundöfentliche Meinungsbildungeingeschlossenist. Indiesem SinneversammeltdervorliegendeBandBeiträgeausden Geistes-,Lebens-undIngenieurwissenschaften,diezeigen,inwiefern ethischekategorienundfragenbereitsinderfachwisenschaftlichen Forschungsystematischangelegtsindundzunächstauchvondorther thematisiert werden müssen.konzeptueler Aufhänger ist das menschlicheindividuum im LichteseinerbiologischenModelierung. VondortauswerdenVerbindungenzwischenwisenschaftstheoretischen,anthropologischenundethischenProblemenhergestelt,dieim HintergrundderDopingdebateliegenundsichgeradenichtaufdiese beschränken,sondernvielmehrzuderenkomplexitätbeitragen.die Dopingdebateselbsterweistsich wiederum alsein instruktives Brennglas,um dietechnologischedurchdringungunsererlebenswelt verstehenzukönnen. DerersteTeilversammeltBeiträge,diedasThemenfeldinalgemeiner Weiseaufschließen.Christoph AsmuthsÜberlegungen zum Menschenbild,dassichinderpostindustrielenModernealseinkomplexes Zusammenspielvon homofaberundhomoludensdarstelt,verorten denmodernensportim KontextvonLeistungsteigerungundEfizienzdruck,weisenaberauchzugleichaufeinedisparateSphäreindividuelerSelbstbestimmung.IndiesesSpannungsfeldreihtsichdann auchdiedopingproblematikein,derenethischeherausforderungen vordem HintergrunddermedialenInszenierungim BeitragvonAlessandroBertinetoreflektiertwerden.AusgehendvonPlesnersKon-
10 PatrickGrüneberg zeptionexzentrischerpositionalitätzeigtneleschneidereit,dassich zwareinerseitskeineprinzipielengrenzeneinerleistungsteigerung ausmachenlasen,dassaberzugleichdieireduzibleindividualität menschlichendaseinseinegeselschaftlicheundvoralem ökonomischeverfügbarkeitdesindividuumskonstitutiveinschränkt.bernd MahrverdeutlichtanhandderStrukturundFunktionsweisevonModelenderenhandlungstheoretischeBefragbarkeit.Somitkannbereits ausmodelenselbst,alsoineinem immanentensinne,derenethische Relevanzbestimmtwerden. DerzweiteTeilwidmetsichdem ZusammenhangvonMoralund BiologiesowieEthikundVerbesserung.Einervermeintlichenund heutzutagedurchaussalonfähigenkonvergenzvonnaturundmoral, diederevolutionsbiologieeineimmensedeutungshoheitzusprechen, steltchristophbinkelmanndienegativevergenzdermoralgegenüber.bezüglicheinertechnologischenverbeserungmenschlichendaseinssoltenandreaswoykezufolgeeinseitigestandpunkte,diemit WesensbestimmungendesMenschenoperieren,zugunsteneinerAusrichtungaufdieumfassendeBeförderungmenschlichenWohlbefindensaufgegebenwerden.CristianaSenigagliaführtdasPrinzipder NachhaltigkeitindiebioethischeReflexionaufdenLeistungsportein und führtanthropozentrische,biozentrischeund pathozentrische Überlegungenzusammen. Im dritenteilstehenmedizinischeundpharmakologischemodele im Zentrum derbetrachtung.francescamicheliniuntersuchtdenbegrifdesorganismusausgehendvondenentwürfenplesnersundjonas undweistdamiteineperspektiveaufdiebiologischengrundlagen desmenschenaus,diedenkonstitutivenzusammenhangunddie GleichzeitigkeitkörperlicherundgeistigerExistenzbetont.DenzentralenBegrifderGesundheitthematisiertBenedetaBisolundzeigt, inwieferndesenbestimmungim AngesichtvonEnhancement-Praktikenüberdachtwerdenmuss.AnhandderbegrifslogischenStruktur desbegrifesdesindividuumskritisiertchristophasmuthdenmethodologischenindividualismusdahingehend,dasnichtdieeinholung desalgemeineninmodelen,sonderndesindividuelendeseneigentlicheschwierigkeitausmacht.dieproblematikveralgemeinernder ModelezeigtMarianneI.Martić-Kehlanhandhochstandardisierter StudieninTiermodelenundderenRelevanzfürdenMenschenauf. Ebensoausdem BereichderpharmazeutischenWisenschaftenstelt ElvanKutBacsdieWiedereinführungdesIndividuelenindieArznei-
Einleitung 11 miteltherapiedar,womitderstandardmenschseinemodelfunktion teilseinbüßt.patrickgrünebergerarbeiteteinekritischebestandsaufnahmederrückübertragunglebenswissenschaftlicher,insbesondere pharmazeutischerforschungsresultateindenlebensweltlichenanwendungskontext. EvaSchneidersBerichtezweierVeranstaltungendesForschungsprojektesTranslatingDopingbeschließendenBand.Zum einenwurden ExpertenzurFragezukünftigerEntwicklungeninderDoping-undEnhancement-ProblematikausnaturwissenschaftlicherSichteingeladen. DieserWorkshopScienceswurdespäterergänztum einenworkshop zum menschlichenindividuum im Vergleichmitdem wisenschaftlichenstandardmenschen.beideworkshopsverdeutlichendiewichtigkeitundfruchtbarkeiteinesdisziplinenübergreifendenaustausches, dersichaufdieinhaltlichenproblemeundgrenzbereichederjeweiligenfächerundzugängekonzentriert. 1 1 DiegenanntenVeranstaltungensowiedieDrucklegungdiesesBandeswurdenim RahmendesBMBF-ForschungsprojektesTranslatingDoping Dopingübersetzen gefördert.